Digitalisierung als In-/Formalisierung

Ingmar Lippert, Susann Wagenknecht

Research output: Contribution to conference - NOT published in proceeding or journalConference abstract for conferenceResearchpeer-review

Abstract

Digitalisierung bedeutet Formalisierung – so ein gängiger Topos der Digitalisierungsdebatte (Büchner 2018). Wir greifen diesen Topos kritisch auf und schlagen vor, Digitalisierung als heterogene Prozesse der In-/Formalisierung zu fassen. Dieser Vorschlag ist zugleich ein Brückenschlag, der Diskurse aus (Technik-)Soziologie, Anthropologie und den Science and Technology Studies aufeinander bezieht. Der Formbegriff verweist dabei auf vielfältige analytische Traditionen. Zu denken ist an Simmels (1958) Formale Soziologie, aber auch an Formate und Formalitäten, Uniformität, Transformation, performance und, ganz wichtig, Information. Die Form ist konstitutiv für moderne Gesellschaften. Theoretischer Formalismus jedoch ist schon länger in die Kritik geraten. Mit Theorien sozialer Praxis und Praktiken ist Informalität ins Zentrum sozialtheoretischer Aufmerksamkeit gerückt (Reckwitz 2003). Zugleich haben Praxistheorien das Problem sozialer Ordnung neu formuliert: “The true locus of the ‘problem of order’ [... is in ...] how continuity of form is achieved in the day-to-day conduct of social activity” (Giddens 1979: 216). Die Herausforderung besteht demnach darin, Informalität analytisch einzuholen – “without dismissing the role of formal means” (Thévenot 2001: 406). Formen sind vielfältig, und sie können einander sowohl stützen als auch unterlaufen. Während Formen große Koordinationsleistungen zu vollbringen helfen, werden sie zugleich selbst geformt (Star & Griesemer 1989, Scheffer 2013). Und auch das Verhältnis von Form und Informalität ist vielfältig und dynamisch. Zwar lässt sich Informalität als Antwort auf Formalisierungszwänge von Digitalisierung verstehen, doch sind es oft gerade etablierte Formen (der Zusammenarbeit, der Kooperation), die sich diesen Zwängen widersetzen. Entgegen einer Dichotomisierung von Formalität und Informalität argumentieren wir, dass unser Verständnis von einem dynamisch und vielschichtig gedachten Begriff der In-/Formalisierung profitiert (cf. Smart et al. 2017). Dabei reduzieren wir weder Formalität auf ‘Technik’ noch Informalität auf jene ‘kulturellen’ Praktiken, die findige workarounds hervorbringen und die Formalisierungszwänge von Digitalisierung weich einbetten, abfedern, unterlaufen. Stattdessen möchten wir in den Vordergrund rücken, an welche neuen Dynamiken der In-/Formalisierung Digitalisierungsprozesse beteiligt sein können. Wir diskutieren unser Argument am Beipsile der Corona-Warn-App in Deutschland, und beobachten dabei digitale In-/Formalisierungsdynamiken, die sich einer dichotomen Betrachtungsweise entziehen.
Original languageEnglish
Publication date2020
Publication statusPublished - 2020
EventWissenschafts- und Techniksoziologie in der digitalisierten Gesellschaft: Theorien, Methoden, Perspektiven: Frühjahrstagung 2020 der DGS-Sektion Wissenschafts- und Technikforschung - Essen/virtual, Germany
Duration: 10 Dec 202011 Dec 2020

Conference

ConferenceWissenschafts- und Techniksoziologie in der digitalisierten Gesellschaft: Theorien, Methoden, Perspektiven
LocationEssen/virtual
Country/TerritoryGermany
Period10/12/202011/12/2020

Keywords

  • Digitalisation
  • sociological theory

Fingerprint

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